Der Kritiker
Von Izabela Becker
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich habe zu viele Ideen in meinem Kopf. Ich bin gespalten, mehrfach, und ich komme nicht hin nicht alle paar Minuten eine neue Idee in meinem Kopf zu produzieren. So schnell schreiben wie ich denken kann, kriege ich nicht hin. Fragmente meiner Gedanken finden sich in vielen meiner Tagebücher. Ob ich diese wohl als gebundenen Ausgabe als ein gesammeltes Buch zusammenfassen könnte? Hmm.. Aber nein, das wäre zu einfach. Oder doch zu schwer. Und ganz ehrlich: Würden Sie das überhaupt verstehen wollen? Würden Sie das verstehen können? Ja, wie eingebildet werden Sie jetzt denken, aber was soll ich machen? Ich möchte mich begreiflich machen und da muss ich doch darauf achten, ob mein Gegenüber mich auch begreift. Und ich weiß ja nicht, ob Sie dazu in der Lage sind. Fies, werden Sie jetzt denken, aber ist es das wirklich? Reizt es Sie nicht auch weiter zu lesen und mir zu beweisen dass Sie mich verstehen? Kluge Hintergedanken werden Sie jetzt meinen, aber da liegen Sie im Irrtum. So leicht bin ich dann auch nicht zu durchschauen. Und was wäre so klug daran Ihnen auch noch eine Spur zu geben auf der Sie mich dann hinterfragen könnten? Wie gestört müsste ich sein Ihnen auch noch einen Wink zu geben wie sie mich kritisieren könnten? Wissen Sie, eins meiner Grundprinzipien ist, dass ich immer ehrlich sein möchte. Doch darf ich vor Ihnen ehrlich sein? Darf ich mir die Blöße geben und schreiben was ich denken ohne, dass Sie mich kritisieren? Kann ich überhaupt ehrlich sein, wenn ich bereits im Vorfeld weiß, dass es Ihnen auch nur ansatzweise nicht gefallen könnte, was ich zu sagen habe? Mal im Ernst: Mir geht es ja jetzt schon nicht gut. Ich habe Angst. Meine Herrschaften, sie erschrecken mich auch ohne dass ich Sie kenne. Sie machen mir Angst und geben mir das Gefühl unzureichend zu sein. Genau Sie, in diesem Moment, wo Sie das hier lesen. Bereits jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe ohne zu wissen, ob Sie dieses Buch, wenn es denn mal eins werden sollte, jemals zur Hand nehmen werden. Ja, gerade, in diesem Moment stelle ich mir Sie vor , Sie sitzt da, lesen die ersten Zeilen dieses Textes und denkt sich: Oh Mensch, ist das bemitleidenswert. Na, toll, ein Buch über eine Person, die voll die Komplexe hat und so unsicher ist, dass sie das auch noch sagt. Und die glaubt jetzt, dass die 5 Euro für dieses Buch gerechtfertigt waren? Heutzutage kann echt jeder Bücher schreiben. Ja, jeder! In dem nächsten Szenario denken Sie: Wow, das ist ja so was von modern, da schreibt mal ein lyrisches Ich über seine Komplexe. Gut, analysiere ich mal. Bis dahin noch okay, aber dann denken Sie ja weiter und fragen sich: Was steckt wohl dahinter? Was möchte sie mir nun sagen? Was will Sie bewirken? Und ja, je mehr Sie nachdenken, desto mehr kommen Sie dahinter, glauben Sie. Und je stärker Sie das Gefühl überkommt mich zu durchleuchten, desto empörter bin ich. Dann glauben Sie also jetzt, nach ein paar Worten bereits mich zu kennen, ja? Kein Selbstwertgefühl denken Sie ja, aha, hmmm, keine richtige Geschichte, aha, hmm, und nun , das glaub ich jetzt nicht: Will die mir jetzt etwa noch ihre eigene Unsicherheit auf Papier gebracht als neue Idee verkaufen? Das hat doch Dostojewski auch so gemacht. Meine Damen, meine Herren, wie soll ich Ihnen da noch was berichten, wenn Sie das alles von mir denken? Wie soll ich mich hier tatsächlich ehrlich hinsetzen und schreiben, was ich denken. Ja, jetzt denken Sie: Ha, die hat gar keine Idee, hat gar nichts zu sagen und deshalb schreibt sie nun nur sie hätte was zu sagen und kann es nicht auf Papier bringen. Sehen Sie? Ich weiß genau was Sie jetzt denken. Komm mal klar und schieß los Mädel! Meine Herrschaften, wenn das mal so einfach wäre zum Punkt zu kommen, wo Sie mich so belästigen. Ständig diese Fragen die Sie mir stellen und das Warten auf meine Antworten. Wie kann ich da noch was vernünftiges auf Papier bringen, wenn Sie mich ständig unterbrechen?
Da beginnt ja schon das Problem, noch vor dem Anfang, vor dem ersten Satz, vor dem ersten Wort, ja, noch vor der ersten Silbe. Ich möchte Ihnen keine Vorwürfe machen, aber wenn Sie Ihr Verhalten mal hinterfragen würden wüssten Sie, dass ich so nicht weitermachen kann. Sie würden es so auch nicht schaffen können. Schauen Sie mal: Ich sitze hier in meinem kleinen Zimmer und versuche es dennoch. Stark, oder? Trotz all Ihrer Fragen und der bohrenden Stiche in meinem Kopf, bin ich tatsächlich bereit mich auf die Reise zu begeben und es zu versuchen. Also gut, ja, ich kann das. Ich blende Sie einfach aus. Ganz ruhig. Einatmen, ausatmen.
Was mache ich zuerst? Ach ja, ich muss eine Form finden. Wenn ich die Bücher betrachte, die ich bereits gelesen habe, dann finden wir verschiedene literarische Richtungen und Ausdrucksformen. Da wird sich doch auch eine geeignete für mich finden. Was haben wir denn da? Romane, Gedichte, Kurzgeschichten, dicke, lange Wälzer, Sachbücher, wissenschaftliche Bücher, Sprüche und Aphorismen, Musiktexte, Briefsammlungen, Biographien, Autobiographien, Stücke, Drehbücher... Wow, sagen Sie mal, sehen Sie das auch? Verstehen Sie? Es gibt so viele Formen, meine Damen und Herren, so viele verschiedene Modelle, so viele Möglichkeiten! Wo soll man da nur anfangen? Ich weiß ja auch, ich könnte da einfach eine herauspicken und dann einfach Drauf-los-schreiben, denken SIE. Ja, Sie hören ja auch nicht auf. Immer denken Sie mit. Warum machen Sie mir nur so einen Druck? Glauben Sie denn das ist so einfach? Man kann einfach irgendeine Form wählen?
Machen Sie das auch mit Ihren Frühstückseiern? Sagen Sie sich morgens auch: Pick ich mir einfach mal aus wie ich das jetzt mache. Ja, ist Ihnen wirklich egal, welche Form die Eier haben, Hauptsache Eier? Sind Sie so einfältig? Tut mir nicht leid, denn wenn Sie wirklich glauben, dass es so einfach ist, dann sind Sie einfältig in meinen Augen. Und ich bitte Sie mich nicht weiter zu beleidigen und diesen Text weiter zu lesen. Sollten Sie es doch tun und sich nach der ersten Empörung wieder eingekriegt haben, dann erkläre ich Ihnen gerne wieso ich Sie gerade so beschimpft habe.
Meine Herrschaften, ich finde es beleidigend mir vorzuwerfen, ich könnte mir einfach eine Form auswählen und mit meinem Buch beginnen, wenn Sie sich Ihre Frühstückseier auch nicht ohne eine bestimmte Systematik zubereiten. Ich sehe Sie genau vor mir: Sie stehen auf, trotten in die Küche und haben Hunger. Angenommen, sie haben genauso viel Lust auf Eier wie ich Lust darauf habe zu schreiben. Ich versetze mich mal in Ihre Lage. Zuerst fragen Sie sich: Was für Eier mache ich mir? Und dann gehen Sie nach einem bestimmten Muster vor. Entweder Sie haben ihre Lieblings-Eier-Form und machen sich die Eier so, wie Sie sich die Eier immer machen. Das ist einfach, das hat Erfahrungswert, das kann jeder. Aber gehen Sie bitte mal gedanklich mit mir ein paar Schritte zurück und versetzen sich mal in meine Lage. Nehmen wir an, Sie hätten zwar Lust auf Eier, hätten auch schon die verschiedenen Zubereitungsformen gesehen, aber noch nie selbst welche zubereitet. Und stellen Sie sich weiter vor Sie hätten noch nie wirklich Eier gegessen und wissen nicht wie sie schmecken. Was, ja, was meine Herrschaften machen Sie dann? Sie haben gesehen, dass es gekochte Eier, Rühreier, Spiegeleier, Omeletts gibt. Und noch mehr: Manche Menschen lassen es nicht dabei! Sie nutzen die Eier nur, um diese für einen anderen Zweck zu gebrauchen! Einige trinken rohe Eier, andere machen Pfannkuchen. Und ja, meine Herrschaften, es geht noch weiter. Einige Menschen fügen diesen Eiern auch noch andere Stoffe bei. Sie salzen diese, nehmen Thymian, Speck, Schnittlauch, Käse.. Ja, und nun frage ich Sie: Was machen Sie dann? Eine Möglichkeit besteht nun darin alle Eier herzustellen, die es gibt und dann das besteht herauszupicken. Aber im Ernst: Haben Sie denn so viel Zeit? Und so viele Eier? Und, was müssen Sie dann noch beachten? Nach welchen Kriterien wählen Sie dann aus? Geschmack? Farbe? Konsistenz? Gehalt? Aussehen? Na, haben Sie ein Konzept? Haben Sie sich entschieden? Haben Sie eine Idee? Haben Sie eine Methode? Haben Sie noch Hunger? Ich nämlich nicht. Und verstehen Sie mich jetzt? Können Sie nachvollziehen was mein Problem ist? Ich kann mich ehrlich nicht entscheiden, aber mal im ernst: Könnten Sie es? Wenn Sie diese Frage gewissenhaft beantworten würden, müssten Sie zugeben, dass Sie genauso hilflos sind wie ich. SIE sind keinen Deut besser als ICH.
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